Zeitungslandschaft im Umbruch – Talsohle noch nicht erreicht

Die Zeitungslandschaft in Deutschland befindet sich in einer Umbruchphase. Das Management vieler etablierter Titel richtet sich zunehmend darauf aus, Kosten zu sparen, um Gewinne zu erhöhen. Zugleich stellt die Erweiterung der Print-Titel um möglichst massen-attraktive Internet-Angebot die Redaktionen und freie Mitarbeiter vor neue Herausforderungen. Düsseldorf ist mit drei Tageszeitungen und den Redaktionen der Bild und des Express eine der wenigen Großstädte, in der Zeitungsvielfalt und Meinungspluralität (noch) gesichert scheinen. Wie entwickelt sich die „Zeitungslandschaft in NRW“? – Unter diesem Titel lud der Verein Düsseldorfer Journalisten VDJ am 10. April die Kolleginnen und Kollegen zu einem Jour Fixe ein. Impulse zu der lebhaften Diskussion gaben Horst Röper, Zeitungsforscher vom Formatt-Institut in Dortmund, und Dr. Willi Keinhorst, der Redaktionsleiter der NRW-Seiten der Welt am Sonntag.

Die Ausgangszahlen, die Horst Röper in seinem Einführungsvortrag präsentierte, waren alles andere als ermutigend: Vom 1996 bis 2006 sank die Gesamtauflage der Tageszeitungen in Deutschland von 27 Millionen Exemplaren auf 21 Millionen Zeitungen – ein Rückgang von 14 % allein Westdeutschland; in den ostdeutschen Bundesländern ging die Auflage sogar um 30 % zurück. „Die Talsohle ist sicherlich noch nicht erreicht“, prognostizierte der renommierte Dortmunder Zeitungsforscher. Dennoch müsse festgehalten wer-den: Der Auflagenrückgang schlage sich bislang noch nicht gravierend in der Zahl der Leser nieder. „Das einzelne Zeitungsexemplar wird heute von mehr Menschen gelesen als in den vergangen Jahren.“ Beruhigend für die Verlage, deren Anzeigenpreise und -erlöse ja von der Leserkontaktzahl abhänge.

Der Rückgang der Auflagenzahlen geht nach Analyse von Horst Röper mit einem Konzentrationsprozess einher. Immer mehr Zeitungen werden von immer weniger Verlagen herausgegeben, wobei dieser Prozess in NRW – nach den großen Konzentrationsfällen der Vergangenheit – noch relativ gemäßigt ablaufe. Gravierender seien die Einsparbemühungen innerhalb der Verlage. Die publizistische Vielfalt leidet demnach vor allem darunter, dass konzernintern Redaktionen zusammengelegt werden. „Der Newsdesk ist ein deutlicher Ausdruck dieser Entwicklung“, konstatierte Röper. Verschiedene Zeitungstitel eines Verlages werden dabei durch einheitliche Redaktionen versorgt. Das sei bei der gemeinsamen Redaktion von Aachener Nachrichten und Aachener Zeitung so, das läuft auch bei der Berichterstattung aus Brüssel oder aktuell bei der Berichterstattung über die Olympischen Spiele in Peking so, etwa bei der WAZ-Mediengruppe. „Korrespondenten arbeiten hier de facto als Nachrichtenagenturen für ganze Mediengruppen“, hielt Horst Röper fest.

Immerhin: Für die Journalistinnen und Journalisten aus Düsseldorf scheint die Lage gegenwärtig noch stabil. Zwar können die NRZ und die Westdeutsche Zeitung mit ihren Düsseldorfer Ausgaben der Dominanz der Rheinischen Post nicht viel entgegen setzen. Dennoch ist nach Einschätzung von Horst Röper im Moment nicht zu erwarten, dass die Verlage der kleineren Zeitungen ihre Düsseldorfer Ausgaben im Rahmen von Marktbereinigungsbemühungen aufgeben würden. „Die Präsenz in der Landeshauptstadt ist eine Frage des Prestiges – die wird kein Verlag freiwillig aufgeben.“ Dennoch muss vermerkt werden: Der Express leidet unter Auflagenverlusten, und die geringe Auflage der NRZ bleibt problematisch.

Welche Chancen hat angesichts dieser etablierten Strukturen auf dem NRW-Zeitungsmarkt eine landesweite Berichterstattung bzw. ein NRW-Teil von Zeitungen? Nach dem Aus für die NRW-Seiten der Süddeutschen Zeitung und der Nordrhein-Westfalen-Redaktion der taz im vergangenen Jahr stellte sich der Redaktionsleiter der letzten verbliebenen NRW-Redaktion einer Zeitung, Dr. Willi Keinhorst von der Welt am Sonntag, den Fragen der Düsseldorfer Journalisten. Keinhorst, der die NRW-Redaktion der WamS seit neun Jahren leitet, konnte sich selbstbewusst zeigen. „Wir haben eine Auflage von rund 400.000 Exemplaren mit der Welt am Sonntag – und unser NRW-Teil gilt verlagsintern als wichtiger Faktor für die Leserbindung“, stellte der NRW-Chef der WamS fest. Sein Konzept für die Regionalseiten sei es, eine „Zeitung in der Zeitung“ zu kreieren. Der Leser wolle am Sonntagmorgen eine „Wundertüte“ erhalten, die in Ruhe genossen werden könne.

„Wir bieten ein Potpourri an Themen, die unabhängig von der tagesaktuellen journalistischen Chronistenpflicht ausgewählt werden können“, meinte Willi Keinhorst. Deshalb seien Ressortgrenzen innerhalb der 12- bis 24seitigen NRW-Ausgabe weitgehend aufgehoben. Die Auswahl der Themen erfolge einerseits nach „Bauchgefühl“, andererseits in Orientierung an dem regelmäßig durchgeführten Reader-Scan. Aktuell zeige dieser, dass etwa soziale Themen durchaus auf das verstärkte Interesse der Leserinnen und Leser träfen. Politische Vorgaben des Verlages gebe es dabei nicht. „Solange unsere Auflage stimmt, können wir als NRW-Redaktion völlig frei agieren“, betonte der in Duisburg geborene Journalist, der vor seiner WamS-Zeit verschiedene Lokalredaktionen der NRZ im Rheinland geleitet hatte.

Für die Zukunft gaben beide Experten auf Nachfrage der Düsseldorfer Journalisten eine zuversichtliche Prognose ab. Horst Röper meinte, dass die Zahl der Verlage im Großen und Ganzen in Nordrhein-Westfalen wohl stabil bleiben werde. Ausländisches Kapital spiele in unserem Bundesland bislang keine Rolle. Problematisch sieht der Dortmunder Zeitungsforscher die Verflechtungen innerhalb der Verlage. „Die Verbreitungsgebiete sind offensichtlich klar abgesteckt und werden weiter bereinigt“, schätzt Röper die Lage ein – wenngleich das aus kartellrechtlichen Gründen nicht in nachweisbarer Form ablaufe. Zu-dem sieht er die Aktivitäten der Verlage im Sektor der elektronischen Medien kritisch. Das gemeinsame Vorgehen im Bereich des Anzeigenverkaufs und neuerdings bei der Beantragung von Fernsehlizenzen für lokale TV-Sender stelle die publizistische Vielfalt in Nordrhein-Westfalen weiter in Frage.

Willi Keinhorst zeigte sich von Konkurrenz durch die Frankfurter Zeitung am Sonntag und die Überlegungen weiterer Verlage, Sonntagszeitungen aufzulegen, zunächst unbeeindruckt. „Unsere Leser rekrutieren sich nicht nur aus den Welt-Abonnenten“, so Keinhorst. „Wir wissen, dass auch viele F.A.Z.-Leser am Wochenende gerne die WamS kaufen.“ Auch Horst Röper resümierte, die Zeitung habe noch eine lange Zukunft vor sich – der fortschreitenden Auflagenverluste zum Trotz. „Der Boom kostenloser Printmedien für junge Leute und der Anzeigenblätter zeigt, dass das gedruckte Wort nicht stirbt. Die Tageszeitungen werden auch im zunehmenden Medienmix ihre Rolle spielen, wenn auch auf etwas niedrigerem Niveau als heute.“

(Text: Christof Rose / Fotos: Roland Scheidemann)